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Ein wenig besser sein. Schneller, produktiver, gesünder, klüger. Klingt erstmal nicht schlecht, oder? Doch irgendwo auf dieser ewig langen To-Do-Liste der Selbstoptimierung verlieren wir etwas Entscheidendes: Uns selbst.
Die Welt schreit uns an: Du kannst mehr! Instagram zeigt uns, wie perfekt die anderen leben, mit Morgenroutinen, die aussehen wie aus einem Hochglanzmagazin. LinkedIn klopft uns auf die Schulter – aber nur, wenn wir durchgehend hustlen. YouTube wirft uns "10 Hacks für dein bestes Ich" hinterher, und zwischen Kalorienzählern und Achtsamkeits-Apps wissen wir bald nicht mehr, ob wir unseren Körper verbessern oder einfach nur kontrollieren wollen.
Und da sind wir also, im schönsten Hamsterrad der Welt. Der moderne Mensch als ewiges Projekt, die Optimierungsmaschine läuft auf Hochtouren. Aber für wen? Und wofür eigentlich?
Früher warst du einfach losgelaufen. Ohne Tracking-App, ohne "Ziele", ohne dass du deine Herzfrequenz messen musstest, um den Wert deiner Runde zu bestimmen. Heute? Ein Spaziergang ohne Schrittzähler? Verschwendete Zeit! Alles muss zählbar, sichtbar und teilbar sein. Die kleinen Momente, in denen man sich einfach nur treiben lässt, sind zu ineffizient geworden. So üben wir uns im Pläne-Machen und To-Dos-Abhaken, aber spontane Freude? Die passt halt schlecht in eine App.
Spontanität braucht Raum. Raum für Fehler, Raum für Langeweile, Raum für das Nicht-Wissen. Raum, in dem das Leben einfach passieren darf und wir dabei sind, statt uns schon wieder zu fragen, ob das alles optimierbar ist.
Kennst du das? Du sitzt vor einem leeren Blatt, und nichts passiert. Irgendwo tief in dir will etwas raus, ein Gedanke, eine Geschichte, vielleicht ein Bild. Aber dann denkst du an all die Tipps, die du gelesen hast: "5 Techniken, wie du kreative Blockaden löst." Also setzt du dich noch gerader hin, zählst deine Atemzüge und optimierst deinen kreativen Prozess. Aber plötzlich fühlt sich alles falsch an, weil nichts "gut genug" ist.
Die Wahrheit ist: Kreativität braucht Chaos. Sie braucht Muße, die kindliche Neugier, die wir verlernt haben. Wenn alles schon definiert, geplant und festgelegt ist, bleibt kein Platz für das Unerwartete.
Früher hast du noch selbst ausprobiert. Ein Stift, ein Zettel, ein bisschen Mut – und los ging's. Heute fragst du Google, wie man richtig zeichnet, kocht oder schreibt. Und schwups, du folgst wieder jemand anderem. Das eigene Experimentieren bleibt auf der Strecke, weil wir so sehr daran gewöhnt sind, Antworten zu suchen, anstatt selbst Fragen zu stellen.
Ein weiteres großes Problem der ständigen Selbstoptimierung: Die Aussenwahrnehmung wird wichtiger als das eigene Gefühl. Wie ich mich sehe, ist bald weniger entscheidend, als wie andere mich sehen.
In sozialen Medien teilen wir unsere Erfolge – die besten Winkel, die besten Momente. Die Tage, an denen wir uns mühsam durch die Welt schleppen? Die kommen nicht vor. Unsere digitale Hülle wird zur Fassade, und langsam fangen wir an, sie selbst zu glauben. Ich muss erfolgreich wirken. Ich muss sportlich aussehen. Ich muss immer happy sein.
Doch dieses fremde Selbstbild hat einen Preis. Wir verlieren den Kontakt zu uns selbst. Wann hast du zuletzt etwas getan, das niemand sehen durfte? Einfach so, für dich allein? Wann warst du zuletzt richtig ehrlich mit dir selbst?
Das Leben ist keine Excel-Tabelle. Ein Kind lebt nicht effizient, und das ist auch gut so. Wer Kinder beobachtet, sieht, was uns fehlt: das pure, unstrukturierte Sein. Da wird geträumt, entdeckt, getobt, gestritten und wieder gelacht. Ohne Leistungsdruck, ohne das Gefühl, etwas verpassen zu können oder nicht genug aus dem Tag zu machen.
Als Erwachsene messen wir unsere Tage in Produktivitätseinheiten. Wir rennen durch To-Do-Listen, als ginge es um die Goldmedaille. Doch im Grunde verpassen wir dabei das Leben. Die Zeit, die wir versuchen zu "optimieren", ist die Zeit, die wir nie zurückbekommen.
Vielleicht ist das der Punkt: Wir haben verlernt, dass es okay ist, einfach nur da zu sein. Nicht der Beste, nicht der Schnellste, nicht der Optimierteste. Sondern einfach: Gut genug.
Das heißt nicht, dass wir uns nicht verbessern dürfen. Klar, ein neues Hobby lernen, einen besseren Rhythmus für sich finden – das ist super. Aber es muss uns dienen, nicht beherrschen.
Manchmal reicht es, am Sonntagmorgen in den Tag hinein zu träumen, ohne zu tracken, was wir in der ersten Stunde des Tages erreicht haben. Manchmal reicht ein Spaziergang ohne Ziel, ein Gedanke ohne Antwort, ein Tag ohne Plan.
Vielleicht finden wir uns selbst ja genau da, wo wir aufgehört haben zu suchen.